Sonntag, November 08, 2009

U.S. Gesundheitsreform: 3 Modelle – 1 Lösung

Wer im Zuge der explodierenden Krankenkassenprämien in Teilen der Schweiz gelegentlich einen Blick über die Landesgrenzen gewagt und die Debatte um die Gesundheitsreform in den USA mitverfolgt hat, kennt  vermutlich den Zustand ihres Gesundheitssystems. Trotzdem ist es selbst für Kenner des US-Systems oft eine Ueberraschung, wenn sie erfahren, dass in den USA 3 verschiedene Modelle nebeneinander existieren. Nebst dem nach nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen organisierten Gesundheitssystem, dessen Reform gerade debattiert wird, existiert auch eine Einheitskasse (Medicare, für alle über 65) und ein universelles Gesundheitssystem (VHA, das Veteranen-Gesundheitssystem). Im Hinblick auf die Situation in der Schweiz ist es sehr aufschlussreich, die 3 Modelle miteinander zu vergleichen:

Privatwirtschaftliches System

Der Grossteil der US-Amerikaner sind dem privatwirtschaftlichen Modell unterstellt. Ihre Krankenversicherung kaufen sie im Prinzip selber, wobei Arbeitnehmer üblicherweise ihre Versicherung als Teil ihres Lohnpakets über ihren Arbeitgeber beziehen. Wer seine Stelle wechselt oder verliert, verliert damit auch seine bisherige Krankenversicherung. Mehr als 46 Millionen Einwohner der USA (16% der Bevölkerung) haben überhaupt keine Krankenversicherung (US Census Report 2008).

Kosten

Die Prämien für die Krankenversicherungen sind im Schnitt in den letzten 10 Jahren um 131% gestiegen, während Löhne in der gleichen Zeit um 38% gestiegen sind. Der Verwaltungsaufwand der privaten Versicherer beträgt bis zu 30%. Die Krankenversicherungen sind notorisch für ihre hohen Prämien, ihre hohen Selbstbehalte und ihren schlechten Service. So ist es nicht unüblich, dass Policen von den Versicherungen gekündigt werden, sobald eine teure Behandlung ansteht, meistens unter dem Vorwand, eine frühere Krankheit sei verheimlicht worden oder eine medizinische Vorbedingung habe bestanden. So wurde z.B. eine Behandlung von Brustkrebs wegen einer früheren Akne verweigert. Mehr als 60% der Privatkonkurse in den USA sind eine Folge von Rechnungen für Behandlungskosten (notabene von Personen mit einer Versicherung).

Einheitskasse

Alle Amerikaner über 65 sind dem Medicare-System unterstellt. Es ist ein sogenanntes single-payer System (Einheitskasse), d.h. die Krankenpflege besorgen private Spitäler und Aerzte, aber Medicare bezahlt alle Rechnungen.

Kosten

Medicare wird über Steuern finanziert. Der Verwaltungsaufwand von Medicare beträgt c.a. 3%, d.h. 97% der eingesetzten Mittel werden für die Pflege eingesetzt. Ausserdem bezahlt Medicare den Aerzten und Spitälern für ihre Leistungen einen reduzierten Tarif. Darüberhinaus hätte Medicare die Möglichkeit, wegen ihrer Stellung im Markt als Grossabnehmer, bei den Pharma-Unternehmen Mengenrabatte auszuhandeln, um die Medikamentenkosten tief zu halten. Dies wurde ihr aber durch die Bürgerlichen (Republikaner) im US Kongress ausdrücklich untersagt.

Universelles Gesundheitssystem

Alle Veteranen der US-Streitkräfte sind der Veterans Health Administration (VHA) unterstellt. Es handelt sich hierbei um ein sogenanntes Universelles Gesundheitssystem, bei welchem der Staat nicht nur die Kosten trägt (vgl. Einheits­kasse), sondern auch die Spitäler betreibt.

In verschiedenen unabhängigen Studien, u.a. durch das New England Journal of Medicine, aber auch durch die Arbeitgeberverbände in den USA, die ja die Hauptlast der Gesundheitskosten tragen (vgl. Privatwirschaftliches System), wurde die ausgezeichnete Qualität der Pflege hervorgehoben. Tatsächlich übertraf die Qualität der Pflege in den Spitälern der VHA jene der Privatspitäler in jeder einzelnen der geprüften Kategorien.

Kosten

Die VHA wird durch Steuern finanziert. Eine effiziente Kostenkontrolle ergibt sich aus folgenden Gründen: Aerzte sind fest angestellt und haben daher keinen Anreiz, unnötige medizinische Behandlungen anzuordnen. Die Pflege der Patienten erfolgt strikt nach wissenschaftlich erprobten Behandlungsmethoden. Durch rigorose Führung elektronischer Patientenkarteien sind Fehldiagnosen, falsche Medikationen usw. auf ein verschwindendes Minimum reduziert, und eine Früherkennung möglicher Probleme sehr viel rascher möglich. Als Grosseinkäufer von Medikamenten kann die VHA Preisnachlässe aushandeln.

Fazit

Das Wunschsystem unserer bürgerlichen Parteien (SVP, FDP), d.h. ein nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen organisiertes Gesundheitssystem ist ein komplettes Desaster. Explodierende Versicherungsprämien, bei Krankheit gekündigte Policen, Privatkonkurse infolge hoher Arztrechnungen (trotz jahrelang bezahlter Prämien) sind die zwingenden Folgen des Systems. Die Versicherungen machen dabei obszön hohe Profite und setzen daher alles daran, dass keine wirkungsvolle Reform zustande kommt. Viele Politiker werden von der Krankenversicherern bezahlt und vertreten daher deren Interessen auch gegen das ihrer Wähler.

Wer stattdessen ein kostengünstiges und effizientes Gesundheitssystem möchte, kommt um einen wirksamen Staatseingriff nicht herum. Die beste und kostengünstigste Lösung wäre ein universelles System, bei dem der Staat die gesamte Krankenpflege betreibt. Denn dann ist derjenige, welcher bezahlt auch der, welcher die Kosten verursacht. Damit ist der Anreiz am höchsten, qualitativ hochstehende Leistungen auch kostengünstig anzubieten. Ausserdem ist die demokratische Kontrolle über die erbrachten Leistungen und verursachten Kosten am grössten.

Die zweitbeste Lösung ist eine Einheitskasse, sofern dafür gesorgt wird, dass der Staat seine Marktmacht als Grosseinkäufer ausnutzen und von den privaten Anbietern (Spitäler, Pharma) nicht über den Tisch gezogen werden kann. Hier gilt es vor allem, darauf zu achten, dass die bürgerlichen Parteien (SVP, FDP) die Interessen der Pharmaindustrie (und deren Profite, ein Teil derer dann wieder als Spenden in die Parteikassen fliessen) nicht höher werten als das der Bürger, die letztlich die Kosten tragen müssen.

Eines ist jedoch klar. Der Freye Märcht ist total gescheitert und hat daher in der Gesundheitsversorgung nichts verloren.